Was sind Sie wert? Diese Frage ist für kaum jemanden so existenziell wie für selbstständige Freelancer. Die Antwort darauf, Ihr Stundensatz, entscheidet nicht nur über Ihren Kontostand am Ende des Monats, sondern über die Zukunftsfähigkeit Ihres gesamten Geschäftsmodells. Doch die Kalkulation dieses Satzes ist für viele eine Blackbox, gefüllt mit Unsicherheit und der ständigen Angst, sich aus dem Markt zu preisen oder in die finanzielle Erschöpfung zu arbeiten.
Der häufigste und gefährlichste Fehler dabei: den eigenen Stundensatz mit dem Bruttogehalt eines Angestellten zu vergleichen. Diese fatale Fehleinschätzung führt direkt in die Selbstausbeutung. In diesem Leitfaden zeigen wir Ihnen, wie Sie Ihren Freelancer-Stundensatz nicht nur berechnen, sondern eine wasserdichte Kalkulation aufstellen, die Ihnen finanzielle Sicherheit, unternehmerische Freiheit und den verdienten Gewinn sichert.
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- Der größte Denkfehler: Ihr Freelancer-Stundensatz ist nicht mit dem Bruttogehalt eines Angestellten vergleichbar. Er muss alle unternehmerischen Kosten decken.
- Die Basis jeder Kalkulation: Erfassen Sie lückenlos Ihre privaten Lebenshaltungskosten und Ihre gesamten betrieblichen Ausgaben.
- Der entscheidende Faktor: Berücksichtigen Sie unproduktive, aber notwendige Arbeitszeit für Akquise, Buchhaltung, Weiterbildung und Urlaub.
- Das Ziel: Ihr Stundensatz muss nicht nur Ihre Kosten decken, sondern auch einen Gewinn abwerfen, um Rücklagen zu bilden und Ihr Geschäft weiterzuentwickeln.
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Stundensatz ist nicht gleich Bruttolohn: Die Angestellten-Falle
Stellen Sie sich vor, ein Angestellter verdient 60.000 € brutto im Jahr. Das entspricht bei einer 40-Stunden-Woche grob einem Stundenlohn von 30 €. Viele angehende Freelancer nehmen diesen Wert, schlagen vielleicht 10 oder 20 Prozent auf und landen bei einem Stundensatz von 35 € oder 40 €. Sie fühlen sich gut dabei, weil es deutlich mehr zu sein scheint als in der Festanstellung. Doch das ist ein Trugschluss.
Aus meiner Sicht ist das der entscheidende Hebel, den viele Freelancer übersehen: Ihr Stundensatz ist kein Gehalt, sondern der Umsatz, aus dem Sie ein Unternehmen finanzieren – Ihr eigenes. Ein Arbeitgeber trägt für seine Angestellten eine Vielzahl von Kosten, die für Sie als Selbstständiger nun auf Ihrer eigenen Rechnung stehen. Dazu gehören:
- Sozialabgaben: Der komplette Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie die gesamte Altersvorsorge.
- Bezahlte Ausfallzeiten: Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und bezahlte Urlaubstage.
- Betriebskosten: Miete für Büroräume, Bereitstellung von Hard- und Software, Strom, Internet.
- Unproduktive Zeiten: Die Zeit, die für Meetings, Verwaltung oder Weiterbildung aufgewendet wird, ist für den Angestellten bezahlte Arbeitszeit.
- Steuerrücklagen und Gewinn: Als Unternehmer müssen Sie zudem Rücklagen für die Einkommen- und Umsatzsteuer bilden und einen Gewinn erwirtschaften.
Ihr Stundensatz muss all diese Posten abdecken. Ein direkter Vergleich mit einem Angestelltengehalt ignoriert die unternehmerische Realität und führt unweigerlich zu einem zu niedrig angesetzten Honorar.
Schritt 1: Das Fundament – Ihre gesamten Kosten realistisch erfassen
Eine saubere Kalkulation beginnt nicht mit einem Blick auf den Markt, sondern mit einem ehrlichen Blick in Ihre eigenen Bücher. Bevor Sie überhaupt an Gewinn denken können, müssen Sie exakt wissen, wie viel Geld Sie benötigen, um Ihre privaten und geschäftlichen Ausgaben zu decken. Dies ist Ihr absoluter Nullpunkt.
Private Lebenshaltungskosten: Was ist Ihr „persönliches Gehalt“?
Der erste Baustein ist die Summe, die Sie monatlich netto zum Leben benötigen. Das ist quasi das Zielgehalt, das Sie sich selbst auszahlen möchten. Seien Sie hier penibel und realistisch. Listen Sie alle privaten Ausgaben auf, die monatlich anfallen. Vergessen Sie dabei auch jährliche oder quartalsweise Zahlungen nicht, indem Sie diese auf den Monat herunterrechnen.
Zu den typischen Lebenshaltungskosten gehören Miete, Nebenkosten, Lebensmittel, private Versicherungen, Mobilität, Freizeitaktivitäten, Abonnements und Sparraten für private Ziele. Die Summe dieser Posten ist das Nettoeinkommen, das Ihr Unternehmen für Sie erwirtschaften muss.
Betriebliche Kosten: Was kostet Ihr Unternehmen?
Neben Ihren privaten Bedürfnissen hat auch Ihr Unternehmen feste Ausgaben. Diese betrieblichen Kosten müssen Sie vollständig erfassen, denn sie sind die Grundlage Ihrer unternehmerischen Tätigkeit. Viele dieser Posten sind für Angestellte unsichtbar, für Sie als Freelancer aber essenziell. Dazu gehören unter anderem:
- Sozialversicherungen: Volle Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung sowie Ihre komplette Altersvorsorge (z.B. gesetzliche Rentenversicherung oder private Pläne).
- Berufliche Versicherungen: Eine Berufshaftpflicht- oder Vermögensschadenhaftpflichtversicherung ist für viele Freelancer unerlässlich.
- Arbeitsplatz: Kosten für ein externes Büro oder eine anteilige Miete für Ihr Arbeitszimmer zu Hause, inklusive Strom und Heizung.
- Hard- & Software: Anschaffung und Wartung von Laptop, Monitoren, Software-Lizenzen (z.B. Adobe Creative Cloud, Microsoft 365) und Abonnements für Tools.
- Kommunikation: Geschäftlicher Handyvertrag und Internetanschluss.
- Marketing & Akquise: Ausgaben für Ihre Webseite, Visitenkarten, Werbung oder Beiträge in beruflichen Netzwerken.
- Weiterbildung: Kosten für Kurse, Fachbücher, Konferenzen und Zertifizierungen, um Ihr Know-how aktuell zu halten.
- Finanzen & Verwaltung: Gebühren für Ihr Geschäftskonto, Kosten für den Steuerberater und Buchhaltungssoftware.
- Reisekosten: Fahrten zu Kunden, Übernachtungen und Spesen.
Addieren Sie Ihre monatlichen privaten Lebenshaltungskosten und die auf den Monat heruntergerechneten betrieblichen Kosten. Das Ergebnis ist die Summe, die Ihr Unternehmen monatlich als Mindest-Netto-Gewinn erwirtschaften muss, nur um alle Ausgaben zu decken. Eine genaue Übersicht hilft Ihnen nicht nur bei der Kalkulation, sondern auch dabei, gezielt Ihre Kosten zu senken und Ihre Profitabilität zu steigern.
Schritt 2: Die Realität der produktiven Zeit – Ihre fakturierbaren Stunden
Der zweite große Denkfehler ist die Annahme, Sie könnten 40 Stunden pro Woche abrechnen. Als Unternehmer arbeiten Sie nicht nur im Unternehmen (die bezahlte Kundenarbeit), sondern auch am Unternehmen. Zeit für Akquise, Buchhaltung, Marketing und Weiterbildung ist notwendig, aber nicht direkt fakturierbar. Deshalb müssen wir nun ermitteln, wie viele Stunden Ihnen pro Jahr tatsächlich für die bezahlte Arbeit zur Verfügung stehen.
Die Berechnung Ihrer produktiven Arbeitstage im Jahr ist ein entscheidender Schritt. Lassen Sie uns das einmal beispielhaft durchgehen:
- Gesamttage pro Jahr: 365 Tage
- Abzüglich Wochenenden: – 104 Tage (52 Wochen x 2 Tage)
- Abzüglich Feiertage: – ca. 10 Tage (variiert je nach Bundesland)
- Abzüglich Urlaubstage: – 25 Tage (ein realistischer Wert für die nötige Erholung)
- Abzüglich Krankheitstage: – ca. 15 Tage (ein Puffer ist wichtig; laut Statistischem Bundesamt ist dies ein realistischer Durchschnittswert für Ausfälle)
Nach diesem ersten Abzug verbleiben rund 211 potenzielle Arbeitstage. Doch auch diese Zeit verbringen Sie nicht vollständig mit Kundenprojekten.
In der Praxis hat sich immer wieder gezeigt, dass Freelancer mindestens 20-30 % ihrer Zeit für unproduktive, aber notwendige unternehmerische Aufgaben aufwenden müssen. Das sind Tätigkeiten wie die Angebotserstellung, das Führen von Akquisegesprächen, die Buchführung oder die eigene Weiterbildung. Rechnen wir konservativ mit 25 %.
- Verbleibende Arbeitstage: 211 Tage
- Abzüglich unproduktive Zeit (25 %): – 53 Tage
- = Fakturierbare Tage pro Jahr: 158 Tage
Wenn Sie von einem klassischen 8-Stunden-Tag ausgehen, kommen Sie auf 1.264 fakturierbare Stunden pro Jahr (158 Tage x 8 Stunden). Vergleichen Sie diese Zahl mit den rund 2.080 Stunden eines Angestellten (52 Wochen x 40 Stunden). Sie sehen: Ihnen steht nur etwa 60 % der Zeit für abrechenbare Tätigkeiten zur Verfügung. Dieser Wert ist der entscheidende Divisor in Ihrer Stundensatz-Kalkulation.
Schritt 3: Die Stundensatz-Formel – Rechnen Sie sich zur Profitabilität
Jetzt führen wir alle Teile zusammen. Sie kennen Ihre Gesamtkosten und Ihre fakturierbaren Stunden. Die Berechnung Ihres Mindest-Stundensatzes ist nun einfache Mathematik. Doch wir gehen noch einen entscheidenden Schritt weiter und planen von Anfang an Ihren Gewinn mit ein.
- Jahreskosten (privat + betrieblich): Die Summe aller Kosten, die Sie in Schritt 1 ermittelt haben.
- Gewinnaufschlag: Ein prozentualer Aufschlag auf Ihre Kosten, der Ihren unternehmerischen Gewinn darstellt. Er ist essenziell für Rücklagen, Investitionen und Wachstum.
- Fakturierbare Jahresstunden: Die in Schritt 2 ermittelte Anzahl der Stunden, die Sie tatsächlich abrechnen können.
Die Formel für Ihren Netto-Stundensatz lautet somit:
(Jahreskosten + Gewinnaufschlag in €) / Fakturierbare Jahresstunden = Ihr Netto-Stundensatz
Ein Beispiel: Ihre jährlichen Gesamtkosten betragen 40.000 €. Sie möchten einen Gewinnaufschlag von 25 % (10.000 €). Ihr Zielumsatz liegt also bei 50.000 €. Diesen teilen Sie durch Ihre 1.264 fakturierbaren Stunden. Das Ergebnis: 39,56 € netto pro Stunde. Dies ist die absolute Untergrenze, die Sie verlangen müssen, um Ihre Kosten zu decken und einen kleinen Gewinn zu erzielen. Bedenken Sie, dass von diesem Gewinn noch Ihre Einkommensteuer abgeht. Ich empfehle an dieser Stelle meistens, einen Gewinnaufschlag von mindestens 20-30 % anzusetzen, um nicht nur zu überleben, sondern Ihr Geschäft aktiv gestalten zu können.
Über die Zahlen hinaus: Ihr Wert am Markt
Die reine Kostenrechnung gibt Ihnen Ihre finanzielle Schmerzgrenze vor. Doch Ihr Wert als Experte geht weit darüber hinaus. Ein angemessener Stundensatz spiegelt nicht nur Ihre Kosten, sondern auch Ihre Expertise, Ihre Erfahrung und die Nachfrage nach Ihren Fähigkeiten wider. Aus meiner Sicht ist es ein entscheidender Fehler, sich sklavisch an den errechneten Mindestsatz zu klammern.
Folgende Faktoren rechtfertigen einen deutlich höheren Stundensatz:
- Erfahrung & Spezialisierung: Ein Senior-Entwickler mit Nischen-Know-how löst Probleme schneller und effektiver als ein Junior. Dieser Wert muss sich im Preis widerspiegeln.
- Nachweisbare Erfolge: Können Sie zeigen, dass Ihre Arbeit den Umsatz Ihrer Kunden steigert oder deren Kosten senkt? Das ist ein starkes Argument in jeder Verhandlung über Ihren Stundensatz.
- Nachfrage: Wenn Ihr Auftragsbuch voll ist, ist das das klarste Signal des Marktes, dass Sie Ihre Preise anheben sollten. Eine professionelle Kommunikation der Preiserhöhung ist hierbei entscheidend.
Recherchieren Sie branchenübliche Stundensätze, aber nutzen Sie diese nur als Orientierung. Ihre Kalkulation ist Ihre Basis. Ihr Wert definiert, wo Sie sich über diesem Minimum positionieren. Dies ist der Übergang zu wertbasierten Preisen, bei denen nicht Ihr Aufwand, sondern der Nutzen für den Kunden im Vordergrund steht. Seien Sie auch bei der Frage nach Nachlässen standhaft, denn gut kalkulierte Preise lassen wenig Spielraum für ungerechtfertigte Rabatte.
Vom Stundensatz zu cleveren Preismodellen
Ihr kalkulierter Stundensatz ist die universelle Währung, die als Grundlage für verschiedene Preismodelle dient. Nicht jeder Auftrag muss pro Stunde abgerechnet werden. Je nach Projekt und Kunde kann ein anderes Modell sinnvoller sein und Ihre Profitabilität steigern.
- Tagessatz: Besonders im Beratungs- und IT-Bereich üblich. Multiplizieren Sie Ihren Stundensatz einfach mit 8, um Ihren Tagessatz zu berechnen. Das vereinfacht die Buchung für ganze Tage.
- Projektpauschale: Ideal für klar definierte Projekte. Sie schätzen den Gesamtaufwand in Stunden, multiplizieren ihn mit Ihrem Stundensatz und addieren einen Risikopuffer. Eine sauber kalkulierte Projektpauschale belohnt Effizienz.
- Retainer-Vertrag: Bietet Ihnen und dem Kunden Planungssicherheit durch ein festes monatliches Honorar für ein definiertes Stundenkontingent oder laufende Betreuung. Ein Retainer-Vertrag sichert ein regelmäßiges Grundeinkommen.
Egal für welches Modell Sie sich entscheiden, die Grundlage bleibt immer eine saubere Kalkulation. Nur so stellen Sie sicher, dass Ihr Gehalt als Selbstständiger gesichert ist und Sie bei jeder Rechnung, die Sie schreiben, profitabel arbeiten.
Fazit: Ihr Stundensatz ist Ihr unternehmerisches Fundament
Die Berechnung Ihres Stundensatzes ist weit mehr als eine mathematische Übung. Sie ist die strategische Grundlage für Ihren Erfolg als Freelancer. Ein zu niedrig angesetztes Honorar führt nicht nur zu finanziellem Stress, sondern signalisiert dem Markt auch einen geringen Wert. Ein professionell kalkulierter Satz hingegen schafft finanzielle Sicherheit, ermöglicht unternehmerisches Wachstum und positioniert Sie als ernstzunehmenden Experten. Kennen Sie Ihre Zahlen, kennen Sie Ihren Wert und kommunizieren Sie diesen selbstbewusst. Denn Ihr Stundensatz ist der Preis für Ihre Freiheit.
Häufig gestellte Fragen
[sc_fs_multi_faq headline-0=“h3″ question-0=“Welchen Stundensatz kann ich als Anfänger verlangen?“ answer-0=“Auch als Anfänger müssen Sie Ihre Kosten decken. Berechnen Sie daher immer Ihren individuellen Mindeststundensatz wie im Artikel beschrieben. Recherchieren Sie dann das untere Ende der marktüblichen Preise in Ihrer Branche und positionieren Sie sich dort, aber niemals unter Ihrer Kostengrenze.“ image-0=““ headline-1=“h3″ question-1=“Muss ich auf meinen Stundensatz Umsatzsteuer aufschlagen?“ answer-1=“In der Regel ja. Der hier berechnete Stundensatz ist ein Netto-Wert. Wenn Sie nicht unter die Kleinunternehmerregelung fallen, müssen Sie auf Ihr Honorar die gesetzliche Umsatzsteuer aufschlagen und diese an das Finanzamt abführen.“ image-1=““ headline-2=“h3″ question-2=“Wie kommuniziere ich einen hohen Stundensatz selbstbewusst?“ answer-2=“Ein hoher Stundensatz wird akzeptiert, wenn der wahrgenommene Wert stimmt. Fokussieren Sie sich im Gespräch nicht auf die Zahl selbst, sondern auf den Nutzen und die Ergebnisse, die Sie für den Kunden erzielen. Eine überzeugende Darstellung Ihrer Expertise und Erfolge rechtfertigt jeden Preis.“ image-2=““ headline-3=“h3″ question-3=“Ist es besser, nach Stunden oder pro Projekt abzurechnen?“ answer-3=“Das hängt vom Projekt ab. Stundenbasierte Abrechnung eignet sich für offene, fortlaufende Aufgaben mit unklarem Umfang. Projektpreise sind ideal für klar definierte Ergebnisse, da sie Effizienz belohnen und dem Kunden Preissicherheit geben.“ image-3=““ count=“4″ html=“true“ css_class=““]